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Goldene Hirschskulptur auf der grünen Kuppel des Kunstgebäudes am Schlossplatz in Stuttgart vor blauem Himmel mit Wolken.
Foto: Kai Bleifuß

Exkursion Mai 2025

Eindrucksvolles unterm Goldhirsch

Kunstverein auf Ausstellungsbesuch bei Katharina Grosse

Was ist ein Bild? Ein farbig bespraytes dreidimensionales Objekt, um das wir herumgehen und es von allen Seiten betrachten können? Eine an der Wand hängende Installation aus klassischer Künstlerleinwand, die zwar vielfach verformt, aber an keiner Stelle bemalt ist? Fragen dieser Art bilden den Hintergrund einer Ausstellung der Künstlerin Katharina Grosse in Stuttgart, die ihre Besucherinnen und Besucher komplett aus dem gewohnten Leben herausreißt und an spektakuläre neue „Schau-Plätze“ versetzt. Der Kunstverein Göppingen hat sich auf eine geführte Erkundungstour begeben.

Wer nach Stuttgart kommt, muss früher oder später den goldenen Hirsch bemerken, der weithin sichtbar auf der Kuppel des Kunstgebäudes am Schlossplatz steht. Katharine Grosse ist da keine Ausnahme, schließlich hat sie ihr Gastspiel in der Landeshauptstadt „The Sprayed Dear“ genannt – ein Titel mit Doppelsinn: Zwei „e“ würden aus „Dear“ den Geweihträger im Wald machen (oder in diesem Fall: den auf dem Dach). Mit „ea“ geht es im Kontext wohl eher um die Kunst höchstselbst, Grosses Lebensthema, dem sie immer wieder ihre Hingabe beweist, indem sie alles nur Mögliche mittels Sprühpistole in etwas Besonderes, ästhetisch Wertvolles verwandelt.

Manchmal freilich ist das so Bearbeitete auch schon vorher einen Blick wert und danach umso mehr, wie im Fall des großen Saals, über dem sich zwanzig Meter hoch die Kuppel wölbt. Der Boden ist dort vollständig mit changierenden Farben bedeckt, jede davon so intensiv wie nur möglich, und erinnert fast an die Oberfläche eines bewegten Ozeans – zumal sich daraus hier und dort wellenartige Strukturen erheben, die gleichfalls zum Bildträger geworden sind. Die Gäste aus Göppingen schreiten andächtig durch die Installation und bekommen im Rahmen ihrer Führung erzählt, dass die Künstlerin und ihr Team bei der Arbeit eingehüllt waren wie Astronauten, inklusive Helm, der sie vor giftigen Dämpfen schützte. Auch das Schneiden von Styropor mit heißem Draht gehöre in die Kategorie „außerordentlich gesundheitsgefährdend“ – eine Bemerkung, gemünzt auf einen Raum, den sie eben schon kennengelernt haben.

Dort beweist Grosse, dass sie gar nicht unbedingt Farbe braucht, um Beeindruckendes hervorzubringen. Eine riesige weiße Skulptur, deren Material man ihr erst aufs zweite Hinschauen ansieht, blockiert da den Weg und lässt mit ihren vielen Kanten, Löchern und Aushöhlungen an schmelzende Eisberge oder glattgeschliffene Schluchten denken. Ganz schnell wird man Teil dieser abstrakten Szenerie, die von klassischen Definitionen eines „Bilds“ vielleicht am weitesten entfernt ist und doch so viele bildhafte Assoziationen wachruft.

Noch erfüllt von unterschiedlichsten Sinneseindrücken gelangt die Kunstvereinsgruppe schließlich aus dem Kuppelsaal in den hinteren Bereich des 2024 nach umfangreicher Sanierung wiedereröffneten Kunstbaus, wo unter anderem auch Werke aus Grosses Zeit als Studentin in Düsseldorf zu sehen sind: Miniaturen für Wände und Vitrinen, lange Zeit in Kisten verschwunden und nun erstmals für die Öffentlichkeit ausgepackt – Objekte, die von der Experimentierfreude der jungen Künstlerin zeugen und teils erst umfangreich restauriert werden mussten, bevor sie ihren Platz in der Ausstellung einnehmen konnten.

Was nach dem Rundgang bleibt? Viel Inspiration durch denkbar alltagsferne, gerade deshalb berührende Ästhetiken. Ein stark erweiterter Bildbegriff. Und etwas Mitleid mit dem Hirsch, der immer auf dem Dach stehen muss und die Pracht unter seinen Hufen nie wird sehen dürfen.

Mehr Informationen:

Exklusive Führung durch die Werkschau „The Sprayed Dear“ von Katharina Grosse

Ort:
Kunstgebäude am Schlossplatz Stuttgart

Datum:
Donnerstag, 15. Mai 2025 | 16.00 Uhr

Ein Artikel von:
Kai Bleifuß

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