Exkursion September 2025
Elektronik im Turm
Kunstverein erkundet die Werke von Walter Giers
Er war ein Pionier der Elektronikkunst, Erfinder, Designer, schaute immer Richtung Zukunft – und doch war das Lager seiner Werke ein mittelalterlicher Turm, Teil der Stadtbefestigung von Schwäbisch Gmünd. Die Rede ist von Walter Giers, dessen bild- und klangstarke Installationen bis heute am Originalschauplatz bestaunt werden können. Der Kunstverein Göppingen hat sie sich im Rahmen einer Führung angeschaut und dabei einen der skurrilsten Kunstorte kennengelernt, die Baden-Württemberg zu bieten hat.
Fünf Stockwerke ist der „Schmiedturm“ hoch: ein markanter Bau, der das Panorama der Remstalstadt mitprägt. Wer an ihm hinaufschaut, muss zwangsläufig Interesse an seinem Innern entwickeln, selbst bei völliger Ahnungslosigkeit, welche Überraschungen er bereithält.
An seinem Fuß wartet eine Gruppe von fünfzehn Leuten auf Einlass. Mehr würden die engen Räume nicht verkraften. Kurz darauf biegt Petra Giers um die Ecke, die Frau des 2016 verstorbenen Künstlers, die gemeinsam mit Sohn Victor die Tour begleiten wird. Etliche Treppenstufen werden erklommen, ehe auch nur das unterste Geschoss erreicht ist, ein Zimmer mit nackten Steinwänden, in dem der Besuch aus Göppingen von Nebelschwaden begrüßt wird: Eines der Lebensthemen von Walter Giers war die Interpretation von Naturphänomenen durch technische Mittel – weshalb dann wenig später auch Blitze zucken und Donner rollt. Das Führungs-Duo erweist sich als Quelle zahlloser spannender und schräger Familiengeschichten, die dem Unternehmen Turmbesteigung von Etage zu Etage mehr eine ganz persönliche Note verleihen. Auch die Kunst gibt mit zunehmender Höhe immer weitere Geheimnisse preis, steigert sich, blinkt, rauscht, weckt Neugier, was da noch alles kommen wird – während die Kunstvereinsmitglieder zum Beispiel erfahren, dass Walter Giers im Lauf seines Lebens auch mehrere Patente beantragt hat, allerdings regelmäßig die falschen: Den Kugellautsprecher etwa hat er zwar erfunden, aber zum wirtschaftlichen Leidwesen seiner Erben nie die Rechte daran eingefordert. Heute hängen mehrere Exemplare im Turm, die in Stuttgart bereits Teil einer Klanginstallation im öffentlichen Raum waren: Aus Baumkronen heraus verblüfften sie Vorbeigehende mit unerwarteten Geräuschen.
Auch bei der Führung ist der Überraschungsfaktor immer wieder groß, weil buchstäblich an jeder Ecke ein neuer genialischer Einfall bestaunt werden will: von der Maschine, die in über 22 Millionen Jahren einen Kurzschluss produzieren wird, über den Kasten an der Wand, der die Geräusche von Walen aufs Ästhetischste mit dem Sonar eines sie jagenden U-Boots kombiniert, bis hin zur Apparatur, die man einschalten, aber nicht ausschalten kann: Sie selbst entscheidet darüber, wann sie aufhört, Krach zu machen – ein Kommentar des Künstlers auf die menschliche Tendenz, Verantwortung komplett an die Technik abzugeben.
Dass Walter Giers in seinem Bereich einer der ganz Großen war, zeigt posthum auch das Interesse der Museenwelt: Eine Ausstellung im Karlsruher ZKM (Zentrum für Kunst und Medien) ist bereits erfolgreich über die Bühne gegangen; ab dem 19. Oktober 2025 wird eine Werkschau im Museum Ritter folgen: Wer den Turmbesuch verpasst hat, kann dort viele Arbeiten kennenlernen, die nun ihren Weg von Schwäbisch Gmünd nach Waldenbuch antreten.
Am Ende der Führung warten der Tiefblick auf die Stadt, eine gemütliche Eckbank, wo Walter Giers seine Gäste empfangen hat, und die Erkenntnis, dass über zwei Stunden im Flug vergangen sind, ohne dass man’s gemerkt hätte. Kein Wunder, schließlich befindet sich hier im letzten Raum auch das opus magnum des Künstlers. Titel: die „Zeitmaschine“.
Elektronik im Turm – Werke von Walter Giers
Ort:
Schmiedturm, Schwäbisch Gmünd
Anlass:
Exklusive Führung für den Kunstverein Göppingen mit Petra Giers
Datum:
Freitag, 12. September 2025 | 15.00 Uhr
Ein Artikel von:
Kai Bleifuß