Fotos 1-4: Frank Kleinbach / Foto 5: Johanna Neuburger
Kunst im öffentlichen Raum 2013/14 des Kunstvereins
Silke Wagner. Portraits
Einführung
Wenn Silke Wagner ihre künstlerische Arbeit im öffentlichen Raum „Portraits“ betitelt, so ist sie sich der kunsthistorischen Tragweite des Themas bewusst. Ganz allgemein ist ein Portrait eine Darstellung einer bestimmten Person als Gemälde, Fotografie, Plastik oder mittels anderer künstlerischer Techniken. Ein Portrait hat die Aufgabe über das Leben des Portraitierten hinaus zu wirken. Auch eine schriftliche Umschreibung eines Menschen, eine Biografie, wird als Portrait bezeichnet. Seit der Wiederentdeckung dieses Themas in der Renaissance wird im Portrait nicht nur eine Darstellung der körperlichen Ähnlichkeit beabsichtigt, sondern vor allem versucht, das Wesen und die Persönlichkeit des Portraitierten zum Ausdruck zu bringen. Auf Grund der Vielschichtigkeit der menschlichen Mimik wird im Portrait in der Regel das Gesicht einer Person in das Zentrum gesetzt.
Der Kunstverein Göppingen wirft mit den Arbeiten der Künstlerin Silke Wagner einen profilierten Blick auf vier historische Frauenpersönlichkeiten ausgehend von der Geschichte Göppingens beziehungsweise Württembergs: die Göppinger Politikerin Mathilde Brückner; die Gründerin des Bundes für Vogelschutz Lina Hähnle; Christine Knoer, eine zu ihrer Zeit bekannte Kochbuchautorin aus Göppingen und die Friedensaktivistin und Frauenrechtlerin Clara Zetkin.
Vier Frauenpersönlichkeiten, die stellvertretend für viele andere unbekannte oder in Vergessenheit geratene Lebensläufe von Frauen stehen, die auf unterschiedliche Weise zu ihrer Zeit prägend waren und sich in einer von Männern dominierten Welt durchsetzten.
Schon früh hatten sich Frauen in dem von der Arbeiterschaft geprägten Göppingen auf ihre Weise engagiert. In den Chroniken der Stadt tauchen sie jedoch kaum auf. Es gibt sehr wenige Erinnerungszeichen an Frauen, wie beispielsweise Mathilde Brückner, die als erste weibliche Gemeinderätin in der Stadt Zeichen setzte und sich mit sozialen Fragen beschäftigte. Auch die zu ihrer Zeit sehr bekannte Kochbuchautorin R. Christine Knoer ist eine dieser in Vergessenheit geratenen Persönlichkeiten aus Göppingen. Lina Hähnle und Clara Zetkin, die beide zumindest zeitweise (C. Zetkin) von Stuttgart aus wirkten, zählen auch heute noch zu den bekannteren historischen Frauenpersönlichkeiten.
Vier differenzierte künstlerische Arbeiten an vier unterschiedlichen, speziell dafür ausgewählten Orten inmitten der Stadt haben sich aus den Überlegungen von Silke Wagner ergeben. Wagners Arbeiten gründen sich auf intensiver thematischer Recherche, die lange vor der Entscheidung der künstlerischen Form steht. Emphatisch fühlt sie sich in jene vier Frauenpersönlichkeiten ein und entwirft nach dieser Phase die äußere Erscheinungsform der einzelnen Arbeiten. Besonders kühn bringt sie dabei Idee und Form zusammen. Treffsicher, ohne jedes Pathos entstehen Arbeiten, die den Betrachter das Profil dieser Frauenpersönlichkeit in der physischen Präsenz spüren lassen.
Im Foyer des Rathauses – im Mittelpunkt des städtischen und politischen Treibens – umschließen zwei ineinandergreifende Hände eine herzförmige Keramik, die gleichfalls als Vase dient. Betont zurückhaltend in Größe und Auftreten verweist die Arbeit auf die erste Gemeinderätin Mathilde Brückner (1868–1958), die mit Herz und Verstand in Göppingen wirkte und sich umfassend im sozialen Bereich engagierte, so zum Beispiel auch als Mitglied des Arbeiterrats und Vorsitzende des überparteilichen Frauenverbandes.
Zeitlebens hat sich Lina Hähnle (1851–1941) aus Giengen an der Brenz für den Vogelschutz engagiert. Silke Wagner portraitiert die „Vogelmutter“, wie L. Hähnle auch genannt wurde, im Oberhofenpark anhand einer Büste, die auch als Futterstelle für Vögel in den Wintermonaten dient. Obwohl L. Hähnle keine Sympathisantin des Nationalsozialismus war, begrüßte sie nach 1933 den angekündigten Bedeutungszuwachs des Naturschutzes und übersah dabei die Instrumentalisierung ihrer Tätigkeit. Auch auf diese Rolle und Position im Nationalsozialismus, die der Bund für Vogelschutz und ihrer Gründerin Lina Hähnle eingenommen haben, wird im Rahmen der Arbeit hingewiesen.
In dem traditionsreichen Restaurant Alte Apothek´ in der Kirchstraße 14 können während der Ausstellungszeit ausgewählte Speisen aus dem Kochbuch von R. Christine Knoer (1745–1809) gekostet werden. 1789 erschien das Kochbuch: Neue Sammlung vieler Vorschriften von Fastenspeisen und allerle Koch- und Backwerk für junges Frauenzimmer, aus dem Silke Wagner einige Gerichte auswählte. Die Restaurantbesitzerin Mira Feldmann wird bis November 2013 die ausgewählten Speisen zubereiten und in ihrem Restaurant anbieten. Bereits 1998 haben Vertreterinnen des Hauses der Familie / Göppingen in Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv eine Neuauflage des Kochbuchs herausgebracht. Feinfühlig lässt Silke Wagner in Gestaltung der Speisekarte und Auswahl der Speisen das Wenige durchschimmern, das von R. Christine Knoer dokumentiert ist.
In dem Silke Wagner die sozialistische deutsche Politikerin, Friedensaktivistin und Frauenrechtlerin Clara Zetkin (1857–1933) durch einen Vortrag „portraitiert“, greift die Künstlerin mit der Form des Vortrags und des Dialogs als Medium einen wichtigen Baustein aus Zetkins politischem Engagement auf. Im Sitzungssaal des Rathauses Göppingen wird die Politologin und Verlagsredakteurin Magdalena Neurauter mit dem Vortrag Was jetzt wichtiger ist … ein Portrait von Clara Zetkin skizzieren.
Eröffnet wird das Projekt Kunst im öffentlichen Raum des Kunstvereins Göppingen am Sonntag, den 29.09.2013 um 17 Uhr im Rathaus der Stadt Göppingen. An die Grußworte von Ulrike Haas / Stadt Göppingen und die Einführung von Veronika Adam / Kunstverein Göppingen schließt sich ein Rundgang mit der Historikerin Claudia Liebenau-Meyer zum Oberhofenpark und dem Restaurant Alte Apothek‘ an.
Der Kunstverein Göppingen schätzt sich glücklich Silke Wagner für dieses Projekt gewonnen zu haben und hofft durch die Arbeiten der Künstlerin Bürger über den ästhetischen Genuss hinaus zum Nachdenken und Erinnern zu bewegen. Der Kunstverein dankt Silke Wagner für ihre engagierte Arbeit.
Viel bereitwillige Unterstützung gab es von Seiten der Stadt, ganz besonders möchte der Kunstverein Göppingen Herrn Dr. Ruess / Stadtarchiv Göppingen, Herrn Hosch / Kulturreferat Göppingen, Werner Meyer und dem Team der Kunsthalle Göppingen danken. Für die Kooperation mit dem Restaurant d‘Apothek bedankt sich der Kunstverein bei Familie Feldmann, die über die Ausstellungsdauer Speisen aus dem Kochbuch von R. Christine Knoer zubereiten.