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Foto: Kai Bleifuß

Exkursion März 2024

Die Stadt und der Einzelgänger

Auf Modiglianis Spuren in der Staatsgalerie Stuttgart

Zum Paris der klassischen Moderne gehörten nicht nur die vernetzten, den Puls der Zeit bestimmenden Künstlergestalten wie Braque und Picasso, sondern auch solche Kreativen, die auf den ersten Blick eher als Außenseiter daherkamen und doch die Ästhetik des jungen 20. Jahrhunderts mitprägten. Bestes Beispiel: Amedeo Modigliani, der seinem Ruf als Einzelgänger zum Trotz den Instinkt für ästhetische Umbrüche hatte und in seinem kurzen Leben etliche Persönlichkeiten der hauptstädtischen Kulturszene porträtierte. Eine Werkschau in der Staatsgalerie Stuttgart stellt ihn in den größeren Kontext seiner Zeit, konfrontiert ihn mit Cézanne, Egon Schiele oder Paula Modersohn-Becker – und hat damit eine Besuchergruppe des Kunstvereins Göppingen angelockt.

Eine riesige Paris-Karte im Zentrum der Ausstellung liefert eine Idee davon, welche Viertel und Wege für Modigliani wichtig waren. Auch die Führung, der die Göppinger Gäste lauschen, verortet den Künstler zwischen einer Vielzahl von Bezugspunkten, wenn auch eher geistigen als geografischen: Von der Antike geht es weiter zu afrikanischen Plastiken, um gleich darauf bei der Literatur Hemingways zu landen. Die Gemälde an den Wänden zeugen von einem Neuerer der Kunst, der weg vom bloßen Abbild will, hin zur persönlichen Interpretation einer komplexer werdenden Umwelt. So wirken Modiglianis Menschen meist leicht deformiert, als sollte ihr Äußeres die Erschütterungen widerspiegeln, die ein Leben im pulsierenden (ab 1914 auch kriegsbedrohten) Paris mit sich bringen musste. Eine flächige Malweise, deutliche Pinselspuren und dick aufgetragene Farbe nehmen bereits eine künftige Entwicklung vorweg: die modernen Tendenzen in Richtung einer abstrakten, ungegenständlichen Kunst. Doch nicht nur die Farbe gewinnt an Autonomie. Auch die Motive selbst, Modiglianis menschliche Modelle, zeigen in all ihrer Zerrissenheit die Kraft zur Selbstbehauptung. Das gilt auch und gerade für seine bekannten Aktfiguren: junge Frauen, die souverän aus dem Bild zurückschauen, wenn man(n) sie betrachtet, und sich durch eine starke persönliche Präsenz jeder Reduzierung aufs Objekthafte entziehen.

Am Ende ist die Kunstvereinsgruppe tief in die Aura einer fremden Epoche eingetaucht, die doch so viel mit der Jetztzeit gemein hat. Es fällt schwer, sich loszureißen – doch man muss: Seit 2019 schließt die Staatsgalerie oft bereits um fünf Uhr nachmittags …

Mehr Informationen:

Führung durch die Ausstellung:
Modigliani – Moderne Blicke in der Staatsgalerie Stuttgart

Datum:
Dienstag, 05.03.2024,
15.00 Uhr

Treffpunkt:
14.30 Uhr im Foyer der Staatsgalerie
Anreise erfolgt privat

Website:
www.staatsgalerie.de

Ein Artikel von: 
Kai Bleifuß

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